Die Liebe der anderen by Deghelt Frederique

Die Liebe der anderen by Deghelt Frederique

Autor:Deghelt, Frederique [Deghelt, Frederique]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau
veröffentlicht: 2013-12-12T16:00:00+00:00


Bis die Kinder schlafen gehen, habe ich keine Zeit mehr zu grübeln. Youri kommt zu mir ins Bett, um zu kuscheln, und fragt: »Wie ist das, wenn man verliebt ist?«

»Also … Man hat Bauchschmerzen und möchte die ganze Zeit kichern. Man redet eine Menge Unsinn, aber zu demjenigen, in den man verliebt ist, sagt man gar nichts. Man wird höchstens ziemlich rot im Gesicht, wenn er einen anspricht. Man hat dolles Herzklopfen, als würde einem das Herz in der Brust explodieren.«

Youri sieht mich erschrocken an. »Genau so ist es! … Mama, ich bin in Lucie verliebt, sie hat die schönsten Haare auf der Welt. Sag mal, kannst du mir ein bisschen Geld geben? Ich muss ihr doch einen Ring schenken, sonst darf ich sie niemals küssen.«

Ich bin perplex. Wie in jedem Gespräch mit diesen Kindern, die allem Anschein nach die meinen sind, lausche ich ihren Belangen mit der amüsierten Neugier einer Fremden, doch in Wirklichkeit ist mein Interesse nicht unbeschwert. Ich empfinde tief in meinem Innern eine fast schmerzvolle Verbundenheit. Wenn ich mich durch einen Zauberspruch in die Vergangenheit zurückversetzen könnte, würde ich es nicht tun, und ich weiß, dass ich den Wunsch zu bleiben ihnen verdanke.

Ich mache mich daran, den Computer zu durchsuchen. Ich überprüfe die Dokumente, an denen ich in den letzten zwölf Jahren für TV Locale et Compagnie gearbeitet habe. Ich habe Sendeformate entworfen, Unternehmen den Kontakt zur audiovisuellen Welt ermöglicht … Wie es scheint, auf immer höherem Niveau. Das sehe ich an den Adressaten meiner letzten Briefe und an den Aufträgen, die ich anfangs persönlich erledigte und später delegierte – zunächst an vier Mitarbeiter, später waren es sieben und am Ende zwanzig. Die Karriere »der anderen«. Ich bin müde.

Ich stoße auf ein paar Symbole, die ich nicht kenne. Eines macht mich besonders neugierig: Es ist eine kleine Hand auf einem Globus, darunter steht »Internetverbindung«. Ich klicke den Button an. »Die Verbindung konnte nicht hergestellt werden«. Ich mache Schluss für heute. Es ist elf Uhr, Pablo ist immer noch nicht da.

Ich schalte den Fernseher ein, zum ersten Mal seit meinem Erwachen. Einmal habe ich mit Pablo die Nachrichten angesehen, mehr nicht. Ich lande bei einer langweiligen pseudowissenschaftlichen Talkrunde, doch gerade als ich ausschalten will, um ins Bett zu gehen, kündigt der Moderator eine Reportage an:

»Machen Sie nun Bekanntschaft mit Henri. Vielleicht haben Sie sein Gesicht vor ein paar Wochen in den Zeitungen gesehen. Es ist das Einzige, was Henri zur Verfügung steht, um etwas über seine Identität zu erfahren. Es kommt sehr selten vor, dass ein Mensch sein Gedächtnis verliert, ohne dass dies auf einen Unfall oder ein traumatisches Erlebnis zurückzuführen wäre. Henri fand sich eines Tages an einem öffentlichen Ort wieder, ohne jede Erinnerung, ohne Papiere, ohne Adresse. Einige Monate lang wusste er nicht, wer er war. Dank verschiedener Zeitungen, die sein Foto veröffentlichten, gelang es schließlich, seine Familie ausfindig zu machen.«

Ich schrecke auf. Neugierig verfolge ich den Bericht über diesen Mann und ärgere mich über den Journalisten, weil er das Interview so schlecht führt. Ich wünschte, ich könnte die Fragen selber stellen.



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